7 Fragen an Erwin Bratengeyer: "Video fürs Lernen kein Trend, sondern essentieller Bestandteil"

E-Learning-Experte Dr. Erwin Bratengeyer
27.04.2016
Carmen Dango
Innovative Personalentwicklung

Ein E⁠-⁠Learning-Pionier, -Experte, -Praktiker, -Fürsprecher: Das alles ist der österreichische Philosoph und Ingenieur Dr. Erwin Bratengeyer. Ein Gespräch über Gallische Dörfer, moderne Varianten des Nürnberger Trichters und die Voraussetzungen für eine gute Lernkultur in Unternehmen.

1. Herr Dr. Bratengeyer, Sie leiten an der Donau-Universität Krems das E⁠-⁠Learning Center, das bereits seit 2009 besteht und dessen Aufgabe es ist, den Einsatz von E⁠-⁠Learning in der Lehre zu fördern. Hand aufs Herz – mit welchen Widerständen seitens der Dozenten oder anderen Widrigkeiten hatten Sie seit Gründung zu kämpfen? Und ist E⁠-⁠Learning jetzt in Ihrer gesamten Universität angekommen?

Mit Gründung des E⁠-⁠Learning Centers war das halbe Minenfeld ja schon geräumt. Die 10 Jahre zuvor waren ausschließlich von Bottom-Up-Aktivitäten geprägt, mit dementsprechenden Begleiterscheinungen wie Ressourcenmangel und Akzeptanzproblemen. Die Gründung des E⁠-⁠Learning Centers signalisierte schließlich die ersehnte Top-Down-Unterstützung, die zum Wohle aller Stakeholder gereichte.

Wir verzeichnen seit damals stetigen Nutzungsanstieg der Lernplattform, wenngleich - Hand aufs Herz - wir noch das eine oder andere Gallische Dorf umwerben müssen. Mit wenigen Ausnahmen ist E⁠-⁠Learning in der gesamten Universität angekommen.

"Das 'E' von 'E⁠-⁠Learning' immer wieder abzuschaffen, gehört ja schon fast zum guten Ton" - der E⁠-⁠Learning-Experte Dr. Erwin Bratengeyer

2. Sie haben an der Donau-Uni vor über 10 Jahren einen der europaweit ersten Master-Lehrgänge zum Thema E⁠-⁠Learning installiert. Wie kommt es, dass Sie das Potential und die Bedeutung des E⁠-⁠Learning schon so früh erkannt haben?

Die Donau-Universität bietet postgraduale Lehrgänge an, die Studierenden sind berufstätig, berufsbegleitende Studien verlangen nach E⁠-⁠Learning. Diese einfache Logik machte die Entscheidung, auf E⁠-⁠Learning zu setzen, unausweichlich. Dies betraf nicht nur die Anwendung, sondern auch das Angebot.

Der Master-Lehrgang eEducation wird heute immer noch angeboten, wenngleich inhaltlich und methodisch gänzlich verändert. Viele Personen, die heute Schlüsselposition im Bereich Bildungstechnologien innehaben, sei es in der Wirtschaft oder im Bildungswesen, sind AbsolventInnen dieser damaligen Lehrgänge.

3. Ist „E⁠-⁠Learning“ aber als eigener Begriff und eigenes Konzept aus Ihrer Sicht eigentlich sinnvoll, wo es doch unterm Strich immer ums nachhaltige Lernen – ohne das „E“ – geht?

Das "E" schaffen wir ja schon seit Jahren immer wieder ab, das gehört schon fast zum guten Ton in der Branche. Allerdings gilt auch "Ehre, wem Ehre gebührt": Schließlich haben wir dem "E" nicht mehr und nicht weniger als eine Bildungsrevolution zu verdanken. Zu meinen, die Revolution wäre bereits abgeschlossen, ist irrig. Artificial Intelligence und Virtual Reality werden weitere Revolutionen anstossen. Ich schlage vor, das "E" als Mahner für "Es kommt noch was nach" zu bewahren.

4. Sie haben einen interessanten akademischen Lebenslauf, da Sie Abschlüsse sowohl in Elektrotechnik als auch Philosophie vorzuweisen haben. Vor diesem Hintergrund die Frage: Welche technischen und welche nicht-technischen Voraussetzungen müssen gegeben sein, damit E⁠-⁠Learning Erfolg hat?

Die technischen Voraussetzungen sind heute leicht zu erfüllen. Dies belegt auch die kürzlich veröffentlichte Studie zur österreichischen E⁠-⁠Learning-Landschaft an Hochschulen. Die Herausforderungen stellen sich im strategischen Bereich - hinsichtlich der Einführung einer Lernkultur und zur Verfügung stellen der Ressourcen - sowie im operativen Bereich - hinsichtlich der Kompetenzentwicklung der MitarbeiterInnen.

5. Welche E⁠-⁠Learning-Technologien und -Methoden werden in der Zukunft Ihrer Meinung nach die wichtigste Rolle spielen?

Die, die ich benennen kann, spielen in Zukunft keine wichtige Rolle, sondern sind zur Selbstverständlichkeit geworden. Hingegen ein Artikel in "Frontiers in Human Neuroscience" von Februar 2016 lässt mich mutmaßen, was wir in Zukunft zu erwarten haben: Durch transkranielle, direkte Gehirnstimulation wurden am HRL Lab in Kalifornien die Fähigkeiten von unerfahrenen Piloten am Simulator verbessert, indem sie mit dem EEG-Muster von erfahrenen Piloten stimuliert wurden. Ohne nun gleich den Nürnberger Trichter heraufbeschwören zu wollen, möchte ich andeuten, dass Bildungstechnologien bei Computer Based Training & Co. nicht halt gemacht haben.

6. Vor 10 Jahren verstanden unter E⁠-⁠Learning viele ja eher textlastige Web-Based Trainings. Seit einigen Jahren jedoch spielt der Einsatz von Video beim Lernen eine immer größere Rolle. Wie kommt das und wird dieser Trend anhalten?

Der Einsatz von Video beim Lernen ist ein essentieller Faktor, denn audiovisuelle Stimuli beeinflussen unser kognitives und emotionales Verhalten auf unmittelbare Art und Weise, und gerade dies ist beim Lernen maßgeblich. Ob dies nur ein Trend ist oder nicht, beantwortet sich daher von selbst. Ich möchte nur zwei Aspekte ansprechen: Vermeidung von Überdosierung und Mut zum interaktiven Video.

7. Stellen Sie sich vor, Sie hätten als Verantwortlicher für Personalentwicklung in einem großen Unternehmen freie Hand. Was wären die wichtigsten Maßnahmen, mit denen Sie für eine positive Lern-, Wissens- und Weiterbildungskultur sorgen würden?

Der Auftrag, eine Lernkultur im Unternehmen zu implementieren, ist schon die halbe Miete. Doch würde ich zunächst genau diesen Auftrag hinterfragen: Ist das Unternehmen wirklich bereit, eine fehlertolerante Haltung zu unterstützen? Ist es bereit für Offenheit und Vertrauen? Ist es bereit, dem Wettbewerb zwischen Gruppen und Individuen abzuschwören? Ist es bereit, Gemeinsamkeit zu unterstützen? Ist es bereit, das Teilen zu fördern?

Wenn all dies gegeben ist, bleibt nur noch übrig, mit etwas kreativer Willkür einige geeignete Tools auszuwählen.

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