Ausgangspunkt und Hintergrund des Bildungssektors in Europa im Jahr 2020
Definition des Bildungs- und Ausbildungsdienstleistungssektors
Umfang der Analyse
Transformation
Anhaltendes Interesse im Bereich Weiterbildung
Die wichtigsten Erkenntnisse
M&A-Aktivitäten und Risikokapitalinvestitionen nehmen zu
Lernangebote als Schwerpunkt
Präsenzbasierte und technologiegestützte Modelle mit neuen pädagogischen Konzepten
COVID-19 als Chance für die digitale Transformation und wachsendes Problembewusstsein
Die neue Normalität der Technik
Fusion von Online- und Offline-Lernen
Die kürzlich von der Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsfirma PricewaterhouseCoopers (PwC) veröffentlichte Studie "Education and training services" untersucht, wie Technologie und COVID-19 zum Wendepunkt für eine Lernrevolution werden können. Die Analyse betrachtet die Aktivitäten im Bereich Mergers & Acquisitions und Startups in Europa entlang des gesamten modernen Lernkontinuums. Die Studie beinhaltet Interviews mit Experten aus der Branche. Im Rahmen dessen erläuterte Britta Kroker, Gründerin und CEO von Pink University, die wachsende Bedeutung von digitalen Lern- und Weiterbildungsmedien für Unternehmen.
Dienstleistungen im Bereich Bildung, Aus- und Weiterbildung zielten darauf ab, die Qualität der Bildung in der Gesellschaft zu verbessern, so die Autoren der Studie.
Der Bereich umfasst auch die Weiterbildung am Arbeitsplatz für Menschen, die ihre berufliche Laufbahn bereits begonnen haben, sowie unterstützende Tätigkeiten, wie etwa Facility Management und Personalwesen.
Die Aus- und Weiterbildung werde in verschiedenen Umfeldern durchgeführt, zum Beispiel in spezialisierten Bildungseinrichtungen, am Arbeitsplatz, zu Hause oder unterwegs. Dabei kommen verschiedene Kommunikationsmittel (z.B. direkter Kontakt, Internet, andere elektronische Systeme und Distance-Learning-Methoden) und Unterrichtsmethoden (z.B. Lehren, Spielen, Selbstlernen) zum Einsatz.
Der europäische Bildungssektor entwickle sich sehr dynamisch - und werde damit zunehmend zu einem attraktiven Ziel für Mergers & Acquisitions und Risikokapitalgeber:innen. Das ist eines der zentralen Ergebnisse der Studie "Education and training services" von PricewaterhouseCoopers. PwC analysierte 355 M&A-Transaktionen im Bildungs- und Ausbildungsdienstleistungssektor in Europa in den Jahren 2015 bis 2019. Sie analysierte auch die Geschäftsmodelle von 329 Neugründungen in der Region, die im gleichen Zeitraum und mit verschiedenen Finanzierungsarten gegründet wurden.
Laut der Studie habe sich in den letzten Jahren das Bildungssystem rasant verändert, vor allem in Bezug auf die Anforderungen, die Lehrplanstrukturen sowie den Einsatz von Technologien und die Rahmenbedingungen, unter denen gelernt wird.
Innovation und Fortschritte in der Technologie wirken sich besonders stark auf den Markt und die Wettbewerbslandschaft aus und prägen die sich wandelnden Anforderungen an die Arbeitskräfte des 21. Jahrhunderts.
Das digitale Lernen beschleunigt einen pädagogischen Wandel, weg von der Top-Down-Lehre und passiven Lernenden hin zu einem interaktiven und kooperativen Ansatz.
Beispiele hierfür sind Social Learning, Mobile Learning und Online Learning, um flexible Möglichkeiten sowohl für individuelles als auch kollektives Lernen zu schaffen:
Bring-your-own-Device-Konzepte (BYOD)
Gamifizierung
immersive Umgebungen zur Förderung des Engagements der Lernenden und zur Verbesserung der Lernergebnisse
Online-HR-Tools zur Steigerung der Effizienz von Bildungsprozessen und -systemen. Diese sind unter Gegebenheiten wie der COVID-19-Krise besonders relevant.
Die hohen Risikokapitalinvestitionen für Unternehmen in der grundlegenden und weiterführenden Bildung seien einen fruchtbaren Boden für zukünftige Partnerschaften und M&A-Aktivitäten.
Trotz der jüngsten Dynamik der COVID-19-Krise, oder vielleicht gerade deshalb, erwartet PwC, dass die Investoren weiterhin ein starkes Interesse an diesem Sektor zeigen werden. Grund dafür sei die Tatsache, dass der Bildungssektor weniger zyklisch und in Phasen des wirtschaftlichen Abschwungs recht widerstandsfähig ist und dass adaptive Lernlösungen und Kommunikation zu einem Schwerpunktthema der Bildungspolitik und -debatte werden dürften.
"Digital orientierte Geschäftsmodelle im Bereich der Bildungs- und Ausbildungsdienstleistungen werden aufgrund ihrer Skalierbarkeit bei Investoren immer beliebter, stehen aber in Bezug auf Investitionen noch ganz am Anfang. COVID-19 wirkte hier als Beschleuniger, aber sicherlich nicht als Auslöser. Die Vorteile im Bereich der digitalen Bildung liegen auf der Hand, da sich die Menschen sowohl im Privat- als auch im Berufsleben an neue digitale Angebote gewöhnt haben - noch mehr während COVID-19." (Britta Kroker, Gründerin und Geschäftsführerin von Pink University)
Die M&A-Aktivitäten im europäischen Bildungssektor haben zwischen 2015 und 2019 deutlich zugenommen, wie die Studie zeigt: In diesem Zeitraum stieg das Transaktionsvolumen um durchschnittlich 8,2 Prozent pro Jahr, während der Marktwert insgesamt um 67,3 Prozent zunahm. Als Hauptgründe für die dynamische Kaufaktivität nennt PwC die hohe Liquidität und die niedrigen Zinssätze. Regionaler Schwerpunkt der Investitionen war mit Abstand Großbritannien, auf das 2019 mehr als 40 Prozent der europäischen Transaktionen im Bildungssektor entfielen, gefolgt von den skandinavischen Ländern (12,3 Prozent), Frankreich (8,6 Prozent), Spanien (8,6 Prozent), den Niederlanden (7,4 Prozent) und Deutschland (6,2 Prozent).
Während die Zahl neuer europäischer Unternehmensgründungen in den letzten Jahren deutlich zurückgegangen ist, erreichten die Risikokapitalinvestitionen in Unternehmen der Bildungstechnologie im Jahr 2019 ein Rekordhoch von etwa 570 Millionen Euro und stiegen in den Jahren 2015 bis 2019 mit einer durchschnittlichen jährlichen Wachstumsrate von 52,1%.
„Das Engagement der Kapitalgeber vor allem in der Wachstumsphase deutet auf einen zunehmend reifen Markt für Bildungstechnologien hin. Das menschliche Lernen verändert sich derzeit fundamental – und wird durch innovative Technologie zum integralen Bestandteil des täglichen Lebens.“ (Dr. Ralph Niederdrenk, Partner bei PwC Deutschland)
Im Laufe der Jahre hat Großbritannien den Abstand zu Frankreich, Deutschland und den nordischen Ländern vergrößert, insbesondere im Jahr 2019. Die Risikokapitalinvestitionen in Europa liegen immer noch hinter Ländern wie China und den USA zurück, holen aber auf.
Die Studie von PwC zeigt, dass sich die europäischen M&A-Aktivitäten um das Lernparadigma drehen, das die verschiedenen Arten beschreibt, wie Lernen vermittelt wird. Dabei können moderne, technologiegestützte Methoden oder eher traditionelle Methoden - z.B. virtuelle oder reale Räume - zum Einsatz kommen.
Startups konzentrieren sich ebenfalls auf diesen Teil des Spektrums, sind aber tendenziell breiter über das gesamte Lernkontinuum verteilt: Sie seien viel aktiver in anderen Paradigmen, wie Lernerfahrung (z.B. immersives, spielbasiertes Lernen), Social Learning (z.B. Peer-to-Peer-Plattformen), Tutoring und Lernmanagementsysteme.
Beispielsweise haben Startups begonnen, die Vorteile von Spielen und Simulationen für eine verbesserte Lernerfahrung zu erforschen. Sie untersuchen auch den Einsatz von Robotern und die Integration von virtueller Realität und erweiterter Realität im Bildungsbereich.
Weitere Beispiele sind digitales Matchmaking, Online-Tutoring, Testvorbereitungslösungen und die Einbettung des Kursmanagements und der Lernerleistungen in eine digitale Umgebung.
Eine der wichtigsten Erkenntnisse der Studie ist der signifikante Unterschied zwischen M&A- und Startup-Aktivitäten in der Art und Weise, wie das Lernen vermittelt wird.
Insgesamt konzentrieren sich rund 80% der M&A-Aktivitäten auf traditionelle Lernmodelle, wie Schulen, Vorschulen und Ausbildungszentren. Obwohl das Blended Learning in den letzten Jahren starke M&A-Aktivitäten erlebt hat, scheinen andere neue Modelle für strategische Akteure und Finanzsponsoren weniger im Fokus zu stehen.
Im Gegensatz dazu konzentrieren sich rund 84% der Startup-Aktivitäten auf neue Lernmodelle. Neugründungen nutzen die neuesten Fortschritte in der Technologie und innovative pädagogische Konzepte und bieten eine breite Palette neuer Lernmodelle. Dazu gehören Blended Learning, Lernen im eigenen Tempo, Lernen in Echtzeit, Mobile First und Mobile Only sowie Online- und Offline-Schulungen.
COVID-19 fordert nicht nur den gesamten Bildungssektor heraus, den digitalen Wandel voranzutreiben. Die Aufmerksamkeit, die diesem Wandel derzeit zuteil wird, habe gemäß der pwC-Studie das Potenzial, den Sektor nachhaltig zu verändern. Viele Institutionen und Unternehmen starten jetzt Digitalisierungsprojekte, und die Lernenden nutzen zunehmend digitale Plattformen zum Lernen. Die wachsende Aufmerksamkeit, die dem Sektor geschenkt wird, die steigende Zahl an Benutzern und die zunehmende Zeit, die die Benutzer auf digitalen Plattformen verbringen, erhöhen die Attraktivität für Investoren.
"COVID-19 hat die Nachfrage nach digitalen Konzepten stark erhöht. Die Kunden waren viel entschlossener und konzentrierter in ihren Kaufentscheidungen als je zuvor. Während die Aufmerksamkeit bereits vorhanden war, ist das Thema digitale (Weiter-)Bildung inzwischen ein Muss für das Top-Management von Unternehmen geworden. Da auch kleinere und mittlere Unternehmen die digitale (Weiter-)Bildung immer mehr für sich entdecken, wächst der Markt". (Britta Kroker, Gründerin und Geschäftsführerin von Pink University)
Es sind jedoch noch einige Hindernisse zu überwinden. Die Bereitschaft, für Bildungsdienstleistungen zu bezahlen, ist in einigen Ländern (insbesondere in Deutschland) noch relativ gering.
„Die momentan herrschende Dynamik bietet strategischen Anlegern und VCs gleichermaßen interessante Chancen. Das Potenzial für nachhaltiges Wachstum im Bildungssektor ist groß. [,,,] Die Digitalisierungsbudgets der Institutionen sind nicht unbegrenzt, und einige Start-ups könnten aufgrund der Pandemie Probleme bekommen, ihre Angebote zu monetarisieren.“ (Dr. Ralph Niederdrenk, PwC-Experte)
Der technologische Fortschritt ermöglicht neue Formen des Lernens und beschleunigt den Wandel von traditionellen hin zu modernen Bildungsformen, die das Lernen "überall, jederzeit, mit jedem Gerät" ermöglichen müssen. Der flächendeckende Zugang zu Technologien sowie die zunehmende Flexibilität führen auch zu einer stärkeren Individualisierung und Demokratisierung des Lernens.
Die Ausbreitung von COVID-19 stellt eine Herausforderung für den Bildungs- und Ausbildungssektor dar - insbesondere für traditionelle Institutionen, die plötzlich Vorträge und Materialien digital anbieten müssen. Auch wenn die Digitalisierung seit vielen Jahren ein wichtiges Thema in diesem Sektor ist, sei nicht jede Institution gleich gut auf diesen schnellen und zwingenden Wandel vorbereitet. Dies sei zum Teil darauf zurückzuführen, dass staatliche Institutionen bisher keine angemessenen und ausreichenden Mittel für die Digitalisierung bereitgestellt haben.
Es bleibe zwar abzuwarten, wie sich COVID-19 genau auswirken wird, aber es werde deutlich, dass das Virus die digitale Transformation in diesem Sektor beschleunigt. Dieser erneute Fokus auf die Digitalisierung dürfte in den kommenden Jahren im Zuge der fortschreitenden Lernrevolution weitere M&A-Aktivitäten und VC-Investitionen befördern.
Trotz der Verbreitung von Technologie und der stärkeren Rolle von Startups bei der Etablierung von Geschäftsmodellen sei nicht zu erwarten, dass die traditionellen Formen der Bildung und ihre Modelle hinfällig werden. Das folgern die Autor:innen der Studie aus der starken Präferenz, die Finanzsponsoren und strategische Akteure diesen traditionellen Methoden entgegenbringen.
Stattdessen wird erwartet, dass das Aufkommen digitaler Lösungen die traditionellen Methoden verbessern werde: Da das digitale Lernen immer wichtiger wird, werden die Grenzen zwischen beiden zunehmend verschwimmen. Blended/Hybrid-Modelle sind der Weg in die Zukunft.
Quelle: PricewaterhouseCoopers (Juli 2020). "Education and training services"